Trockene Kehle
Meine Beine schleppen sich mühevoll vorwärts, während der heiße Sand unter meinen Füßen knirscht. Wie auf Autopilot gestellt. Links, rechts, links, rechts, links. Die Befehle an meinen Körper scheinen nicht mehr von meinem Gehirn aus gesteuert zu werden, sondern von einer anderen Schaltzentrale, einer, die sich aktiviert, wenn der Körper auf Notstrom gestellt wird. Alles bewegt sich automatisch, wie in Trance. Ich habe das Gefühl, mich selbst von außen beobachten zu können, zu sehen, wie sich mein abgemagerter Leib Schritt für Schritt, Meter um Meter durch diese endlose Sandwüste quält. Fast so, als wäre diese Kreatur dort ein Wüstenwesen, das einen Weg gefunden hat, bei 50 Grad Celsius und erbarmungslos brennender Sonne die einzige Schrittfolge zu entwickeln, die ihr Überleben hier draußen sichern kann. Aber ob ich überleben werde, weiß ich nicht. Nicht mal, ob ich tatsächlich noch am Leben bin. Jegliches Gefühl für Raum und Zeit ist meinem Geist entwichen, seitdem dieser brüllende Sandsturm über meinen nächtlichen Unterschlupf gefegt ist und den letzten Tropfen Wasser, den ich in meinem Trinkschlauch hatte, in ein warmes, schlammiges Süppchen verwandelt hat. Das war irgendwann heute Morgen. Die Sonne war schon über die Sandhügel im Osten gekrochen und hatte die nächtliche Kälte beinahe in Sekundenschnelle hinweg gejagt. Ich sah den Sturm erst spät kommen. Wie eine braune Wand am südlichen Horizont, die sich Augenblick um Augenblick größer aufbaute, bis sie meine kleine, schimmernde Oase fast erreicht hatte. Sie war der perfekte Ort für ein Nachtlager. Kein Wasser, aber Schatten, ein paar Palmen und ein wenig grünes Gras. Besser als der blanke Wüstenboden, auf dem ich die drei Nächte davor geschlafen hatte. Als ich das Ausmaß des Sturms erkannte, war es schon lange zu spät für eine Flucht. Die Oase war meine Rettung. Geistesgegenwärtig warf ich mich in eine Mulde im Boden, direkt unter einer kleinen Palme und ließ das erstickende Getöse über mich ergehen, den Saum meines halb zerrissenen, schmutzigen Hemdes fest auf Mund und Nase gedrückt. Die wenigen Minuten, die ich dort hockte, zusammengekauert wie die wehrlose Beute eines hungrigen Löwen, kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Als der Sturm weitergezogen und mein darauf folgender Hustenanfall beendet war, sah ich mit Schrecken die Verwüstung, die diese braune Hölle hinterlassen hatte. Einige der kleineren Palmen waren abgeknickt, der zuvor grüne Boden fast vollständig mit Wüstensand bedeckt. Doch erst, als ich zu meinem Trinkschlauch griff, in dem Versuch, meine vertrocknete Kehle vom feinen Wüstenstaub zu befreien und realisierte, was der Sturm von meinen Wasserreserven übrig gelassen hatte, bekam ich es wirklich mit der Panik zu tun. Ich wusste, den verbleibenden Weg würde ich ohne Wasser nicht überleben. Auch zurück war es zu weit. Zwei oder drei Tage mindestens. Was vor mir lag, wusste ich nicht. Meine Hoffnung war lediglich, meinem Ziel näher zu sein als dem Dorf, aus dem ich geflüchtet war. In meiner Verzweiflung überlegte ich sogar für einen kurzen Moment, den schlammigen Inhalt meines Schlauchs zu trinken, um irgendwie hydriert zu bleiben. Nur die Angst, erbärmlich zu ersticken, während noch genug Lebenskraft in mir steckte, hielt mich letztendlich davon ab. Doch nun, einen Tag später, sehe ich, wie die Wüste diese Kraft Schritt um Schritt aus meinem geschundenen Leib saugt, während der Inhalt meines ledernen Wasserschlauchs immer verlockender erscheint. Ob ich nun an Durst verrecke oder am Schlamm ersticke, sterben werde ich ohnehin. Also sehe ich dabei zu, wie meine zittrigen Hände zum Schlauch an meiner Hüfte greifen und langsam beginnen, den Verschluss aufzudrehen. „Was soll mir jetzt noch passieren?“, rede ich mir leise Mut zu. Als ich den Kopf hebe und den Schlauch an meine aufgeplatzten Lippen setze, nehme ich im Augenwinkel eine Lichtveränderung wahr. Ich neige den Kopf wieder nach vorn, lasse den Arm mit dem Trinkschlauch sinken und schaue in die Ferne. Eine dunkle Silhouette bewegt sich langsam am Horizont entlang in westlicher Richtung. Ich glaube, ein paar Kamele zu erkennen, vielleicht sogar einige menschliche Gestalten. Bilde ich mir das nur ein? Erlaubt sich mein ausgedörrtes Hirn einen Streich mit mir? Vorsichtig wische ich mir den Sand mit der Handinnenfläche aus den Augen, bis mir die Tränen laufen. Erneut starre ich auf den Horizont. Die dunkle Schlange ist immer noch da und bewegt sich langsam weiter. Ich mache einige hastige Schritte in ihre Richtung und bleibe abrupt stehen. Was, wenn es sie sind? Es könnte meinen Tod bedeuten, noch bevor Sonne und Wüstensand mir den Verstand rauben, meine Organe versagen lassen und schließlich das Leben aus mir herauspressen. Aber welche Wahl habe ich? Ich muss es versuchen! Schritt für Schritt, Meter um Meter kämpfe ich mich voran, durch den Wüstensand. Der dunklen Schlange am Horizont entgegen.
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