Sollte ich lieber selbstständig lernen oder mit einem Lehrer? Gute Frage. Beides kann sehr sinnvoll sein. Beides kann deine Fortschritte beim Lernen aber auch blockieren, wenn du es falsch angehst. Ich habe für die heutige Folge von Deutsches Geplapper mit Lernpsychologin Dr. Miriam Schlag über die Frage gesprochen, was Selbstlernkompetenz eigentlich bedeutet, warum sie so wichtig für dich sein kann und worauf du im Alltag achten solltest, wenn du versuchst, selbstständig zu lernen, egal ob Deutsch oder irgendetwas anderes. Dabei wird es auch um die Themen Zeiteinteilung, Motivation, Organisation und den ganz wichtigen Begriff Cognitive Load gehen. Was das ist, das erfährst du jetzt.
Herzlich willkommen bei Deutsches Geplapper, ich bin Flemming, Deutsch-Coach von Natural Fluent German. Dieser Podcast ist für dich, wenn du dein Hörverstehen verbessern, deinen Wortschatz erweitern, das echte Alltagsdeutsch kennenlernen und mehr über Deutschland erfahren möchtest. Die Transkripte zum Mitlesen findest du unter www.naturalfluentgerman.com. Übrigens, Deutsches Geplapper gibt’s auch bei YouTube. Und nun viel Spaß beim Hören.
Flemming:
Ja, moin liebe Deutschlernerin, moin lieber Deutschlerner, schön, dass du wieder dabei bist, hier bei einer neuen Folge von Deutsches Geplapper. Und heute geht’s natürlich wieder mal um das Thema Lernen, wie so häufig in diesem Podcast. Und es geht vor allem darum, wie du selbst auch wirksam werden kannst, Selbstlernkompetenz entwickelst. Ja, Selbstlernkompetenz, das große Thema heute. Und dafür habe ich mir wieder Dr. Myriam Schlag eingeladen. Die war schon mal hier in unserem Podcast bei Deutsches Geplapper. Damals ging’s um den Testeffekt, über den wir geredet haben. Genau. Ich denke, euch ist Myriam noch ein Begriff. Ansonsten sage ich trotzdem noch mal, moin Myriam, schön, dass du wieder dabei bist.
Myriam:
Hallo. Ich freue mich.
Flemming:
Ja, ich mich auch. Genau. Myriam, du hast dich momentan, oder nicht momentan, aber du beschäftigst dich generell ja auch sehr viel mit diesem Thema Selbstlernkompetenz. Sag noch mal kurz, was gehört denn eigentlich alles dazu? Also, das ist jetzt ein langes deutsches Wort. Welche Bereiche können wir unter diesem Thema betrachten und was spielt hier mit rein? Was bedeutet Selbstlernkompetenz eigentlich?
Myriam:
Okay, das wird jetzt eine längere Antwort. Also, erst mal das Wort Selbstlernkompetenz, das ist ja mehr so was für das Galgenmännchen-Raten, wenn es das noch gibt. Es ist wirklich ein sehr langes deutsches Wort. Und in der psychologischen Forschung heißt es auch selbstreguliertes Lernen. Es geht also darum, dass ich mich selber regulieren kann, während ich etwas lerne und dass ich mir eben eigenständig neues Wissen aneignen kann, dass ich dazu in der Lage bin, also auch ohne Lehrer, ohne Dozent, ohne Kurs, dass ich also mir selber das Wissen aneignen kann, was ich gerade brauche, was ja eine sehr schöne Sache ist. Aber das ist ein sehr umfangreicher Prozess, weil man merkt das manchmal nicht, aber Lehrer und Dozenten nehmen einem eine Menge Arbeit ab. Man ist als Lerner ja meist nur genervt davon, was man alles für Aufgaben machen soll. Aber das ist nicht umsonst ein Beruf, weil die nehmen einem sehr viel ab und man merkt das meist erst sehr schmerzlich, wenn sie nicht da sind und man dann plötzlich nicht nur damit beauftragt ist, den Lernstoff zu verstehen, sondern sich den auch selbst zu organisieren. Das heißt, ich muss mir selber ein Lernziel setzen, ich muss das Ganze selber planen, ich muss mich zum Lernen motivieren, ich muss mir Strategien überlegen, wie ich das Ganze lernen kann. Ich muss gucken, dass ich die richtigen Materialien zusammen habe. Wenn ich bestimmte Aufgaben bearbeiten muss, muss ich mir da überlegen, was ist das eigentlich für eine Aufgabe, was soll ich da jetzt genau machen? Und ich muss auch irgendwie das Gefühl haben, dass ich da selbst in der Lage zu bin, also traue ich mir das überhaupt zu? Also da gibt es ganz viele Komponenten, die schon, bevor es überhaupt ans eigentliche Lernen geht, auf mich zukommen und danach, wenn ich dann meinen ganzen Lernvorgang irgendwie geplant habe, dann muss ich mich halt auch überwachen, also das, was der Lehrer oder der Dozent dann auch während des Kurses macht, muss ich dann halt selber machen und überlegen, habe ich mich gerade vom Handy ablenken lassen oder bin ich noch bei der Sache? Komme ich meinem Lernziel eigentlich näher oder bin ich irgendwie abgebogen in eine falsche Richtung? Das ist alles interessant, aber war gar nicht das, was ich machen sollte. Das wäre wichtig und vielleicht komme ich sogar auf die Idee, dass ich meine Lernstrategie noch mal verändern muss, also vielleicht geht es halt so nicht und ich muss nochmal anders ran, weil ich den Text so nicht verstehe, weil ich einfach gar nichts verstehe und somit auch die Fragen nicht beantworten kann zum Text, also vielleicht fehlen mir wichtige Vokabeln oder was auch immer, Fachworte. Und wenn ich das dann abgeschlossen habe, kann es sein, dass ich nochmal neu planen muss, weil ich gemerkt habe, die heutige Session, die zwei Stunden, wo ich lernen wollte, bin ich gar nicht so gut vorangekommen, wie ich wollte. Das heißt, ich muss nochmal umplanen dann oder muss nochmal von einer anderen Richtung ran und nach dem Lernen muss ich mir halt überlegen, habe ich das eigentlich erreicht, was ich machen wollte? Da muss man wirklich nochmal so ein bisschen Kassensturz machen, sich selbst reflektieren. Was passiert, wenn es halt nicht gut gelaufen ist? Habe ich dann so schlechte Laune, dass ich erst mal drei Tage gar nichts mehr mache und auch keinen Bock mehr habe? Oder sage ich mir, okay, das war jetzt doof, ich weiß, woran es lag und ich mache irgendwie anders weiter und dann muss ich mir auch wieder neue Ziele setzen. Also da ist eine Menge rundherum. Emotionen kommen auch noch dazu, vielleicht ist das ja schon ein Thema, wo es bei mir prinzipiell gleich höher steigt und ich denke, das mag ich gar nicht und dann muss ich mich da auch regulieren. Also eine Menge Regulation, deswegen heißt das auch manchmal selbstreguliertes Lernen und das mündet dann halt in einer Selbstlernkompetenz, aber ich muss mich selber regulieren beim Lernen und das ist gar nicht so einfach hier und da. Und niemand ist da, der sagt, ich habe noch eine spannende Aufgabe für euch und ich erzähle euch eine tolle Geschichte oder wir machen nochmal was Spannendes, wir machen es nochmal anders, wenn ihr es so noch nicht verstanden habt. Die Dozenten-Lehre gibt es dann halt leider nicht, das muss ich alles selber machen. Muss mein eigener Cheerleader sein.
Flemming:
Ja, sehr gut, sein eigener Cheerleader sein. Aber das ist unheimlich komplex, wie du es gerade beschrieben hast. Man muss da wirklich, um wirklich dann auch voranzukommen, regelmäßig Fortschritte zu machen, dabei zu bleiben, nicht zu sehr zu frustrieren und einfach auch seine Ziele irgendwann zu erreichen, erfordert es eine Menge Organisation und Zeitmanagement, all das, was du gerade eben auch beschrieben hast. Und hier mal kurz Werbung in eigener Sache, dazu ist dann wieder mein Coaching da, also vieles von dem, was Myriam gerade beschrieben hat, mache ich, übernehme ich ja auch im Coaching, weil genau aus diesem Grund, weil ich selbst ja auch beim Thema Sprachenlernen immer wieder erkannt habe, wie viel das eben auch einfach erfordert, wie viele Dinge man einfach beachten muss, um voranzukommen, um effektiv zu lernen und es ist einfach, wie du gesagt hast, deutlich leichter mit einem Lehrer, einem Tutor, einem Coach, wie auch immer, der nimmt einem unheimlich viel Arbeit ab. Und das ist ja etwas, was, ja, klar, gerade so in den Zeiten, in denen man ja einfach lernen muss oder einen Lehrer haben muss, in der Schule, in der Uni hat man dann Dozenten, Professoren und so weiter, aber ich glaube, dieses Thema, dass man jemanden hat, der sich so ein bisschen kümmert, der so ein bisschen Feedback gibt, der auch den Blick drauf hat, das unterschätzt man einfach, oder? Das vergisst man ganz häufig.
Myriam:
Ja, das sind halt auch die Leute, die mit einem die Tests schreiben, die einem sagen, man soll pünktlich da sein, man soll nicht aus dem Fenster gucken, man soll nach vorn gucken. Das sind nicht immer nur die beliebten Menschen bei so einem Lernprozess und man fühlt sich als Lerner vermutlich auch oft gegängelt irgendwie, deswegen klingt das auch so verlockend, wenn dann immer so Angebote sind, dass man ja ganz frei, ganz selbstständig, mit eigener Zeiteinteilung irgendwie lernen könnte. Nur immer, wenn dann das Wort leicht fällt, werde ich ein bisschen skeptisch, weil eigentlich ist es nicht leichter. Natürlich ist es flexibel, aber wirklich leichter ist es nicht und gerade nochmal, um deinen Aufruf auch zu unterstützen, wichtig ist auch, dass Lernstrategien, nur weil ich fünf Lernstrategien habe, passen die nicht auf jedes Fach, das heißt, du kennst einfach gut die Lernstrategien, die sich für Sprachenlernen eignen und wenn ich vorher auch vielleicht jahrelang Ingenieurswissenschaften studiert habe, dann ist das super, dann kenne ich da viele Methoden, Techniken, Lerntechniken, weiß, wie ich da rangehen muss, aber vom Sprachenlernen habe ich da immer noch nicht so viel Ahnung, deswegen braucht man nicht nur Strategien, die für jedes Fach funktionieren, sondern es gibt eben auch facheigene Lernstrategien und da ist dann jemand sehr, sehr hilfreich, der sich in dem Fach auskennt.
Flemming:
Genau und vor allem ja auch, weil einem selbst ja oft auch dieser objektive Blick auf die Fortschritte und auf die Entwicklung einfach fehlt, glaube ich, weil man… Ich sag mal, mein Lieblingsbeispiel ist immer so ein bisschen Lionel Messi, wenn es so um Expertenforschung geht, kennen ihn glaube ich alle hier, super Fußballer, aber es wird ihm oft nachgesagt, dass er ganz viel Talent hatte einfach. Das Thema Talent, das habe ich ja auch schon angesprochen im Podcast, ist sowieso etwas, das sehr, sehr überschätzt wird, gerade wenn es darum geht, große Leistungen zu vollbringen und Experte in einer Sache zu werden, aber bei ihm ist es eben so gewesen, dass er von Anfang an den Ball am Fuß hatte, sobald er laufen konnte, hatte er einen Ball am Fuß und er hatte auch sehr, sehr früh einfach sehr gute Lehrer, Trainer, die ihn immer wieder gefördert und gefordert haben, die ihm auch das Feedback gegeben haben und er wäre ohne diese Leute heute nicht da, wo er ist. Natürlich ist er viel auch alleine mit dem Ball hin und her gerannt, aber hatte auch immer wieder die Leute, die ihm gesagt haben, mach das, mach das oder das funktioniert bei dir eben noch nicht so gut. Und so wie es bei ihm im Fußball ist, im Sport ist, ist es eben genau das Gleiche dann eben beim Sprachenlernen oder in anderen Fachrichtungen, wo du einfach diesen Blick von außen nicht hast, du merkst nicht, wann du Fehler machst, wo du Fehler machst und wie du, wie du sie beseitigen kannst, also bzw. anders, ich glaube, du merkst es irgendwann vielleicht, du entwickelst immer mehr ein Bewusstsein dafür, aber kannst mich gerne berichtigen, bis du an diesem Punkt bist, dauert es eine Zeit, oder?
Myriam:
Ich glaube auch, es dauert hier und da länger, ja. Aber ich würde gerne, also ich hätte jetzt auch zu dem Fußballthema noch einiges zu sagen, nicht, weil ich großer Fußballfan bin, sondern weil ich glaube, dass Talent und Förderung da auch gut zusammenkommen. Andere hätten genau dieselbe Förderung haben können, wären aber trotzdem nicht Lionel Messi gewesen, weil er eben auch Talent hat, also da kam beides gut zusammen. Aber es gibt sicherlich auch Leute da draußen, die haben ein Riesentalent, aber keine Förderung und dann hilft das auch nichts. Also man braucht vielleicht irgendwie dann beides am Ende des Tages, aber nur Talent reicht nicht.
Flemming:
Ja, und dieser Gedanke an das Talent kann eben auch oft blockieren, wenn man… Ich habe so viele Leute schon kennengelernt, die gesagt haben, „Ja, aber der hat bestimmt, die haben einfach ein Sprachtalent, die haben einfach ein Talent dafür und deswegen sprechen sie Deutsch, Englisch, Französisch“. Ne, ne, ne, ne. Also natürlich sind wir alle unterschiedlich, aber wir lernen trotzdem… Das Gehirn der Menschen funktioniert ja trotzdem mehr oder weniger gleich bei den Menschen, ja. Also das ist ja trotzdem so, dass gewisse Dinge einfach funktionieren und ja, ich sage mal, das ist jetzt auch kein Hexenwerk, dass man einfach durch gewisse Dinge Fortschritte macht. Beispielsweise wie wir in unserer letzten Folge besprochen haben, dieser Testeffekt, eine super Methode, um aktiv, den aktiven Wortschatz zu erweitern, um ja Dinge auch im Langzeitgedächtnis abzuspeichern. Das funktioniert mehr oder weniger bei allen gleich und das sind einfach Dinge, da unterscheiden sich die Menschen dann doch nicht so sehr. Es gab ja mal so diese Theorien davon, dass es so diesen auditiven Lerntypen gibt und den visuellen und so weiter und so fort. Ich habe gelesen, dass das alles mittlerweile so ein bisschen überholt ist.
Myriam:
Es ist weniger überholt als wissenschaftlich nicht belegt.
Flemming:
Sagen wir es so, ja genau.
Myriam:
In der Psychologie ist das so ein Lernmythos, ja. Aber ich würde gerne einfach nochmal darauf zurückkommen, was du gerade gesagt hast. Ich glaube, viele Leute wären sehr überrascht, wie weit sie kommen würden, auch ohne Talent, also einfach mit Anstrengung und Ehrgeiz, wie viel Leute da auch erreichen können. Vielleicht nicht bis zum Spitzenfußballer des Jahres in wiederholter Weise, aber doch ziemlich weit und viele Leute könnten mit Anstrengung vermutlich trotzdem auch sehr gut Fußball spielen. Vielleicht eben nicht Weltklasseniveau, aber doch sehr gut und so ist es in vielen Fällen. Also vielleicht spreche ich dann eine Fremdsprache nie wirklich wie ein Muttersprachler, aber ich könnte mich sehr gut verständigen und vielleicht würde das ja schon ausreichen. Also es ist auch die Frage, wo das Ziel liegt, aber die meisten Ziele sind doch besser zu erreichen, als viele Leute glauben und es ist schwierig, wenn man dann natürlich anfängt, „Mein Ziel ist Superfußballer zu werden oder wie ein Muttersprachler zu sprechen“. Also ist vielleicht zu hoch gesteckt auch. Und dann führt das natürlich dazu, dass ich gar nicht erst anfange, dass ich demotiviert bin, weil das klappt sowieso nicht und dann blockiere ich mich selbst, also selbst Handicapping sozusagen.
Flemming:
Ja, genau. Kann man das so pauschalisieren? Wahrscheinlich nicht, ich stelle die Frage trotzdem: wer ist dann besser dafür geeignet, jetzt diese Selbstlernkompetenz einfach zu entwickeln oder für sich zu nutzen und wer sollte vielleicht doch eher zu einem Lehrer gehen? Kann man das irgendwie pauschal sagen? Kennst du da Beispiele oder Lerntypen, die du einordnen würdest in diese Kategorien?
Myriam:
Also Lerntypen eher nicht, aber also die Wissenschaft forscht noch, aber so ab 15, 16 Jahren kann man selbstreguliert lernen. Also vorher ist es einfach schwierig aufgrund der Gehirnentwicklung, dass das noch nicht so umfangreich klappt, wie bei Erwachsenen. Ich würde es eher ein bisschen davon abhängig machen, wie viel Vorerfahrung und Expertise ich schon habe. Also wir sprechen natürlich jetzt immer darüber, dass man irgendwas ganz neu lernen muss. Aber Selbstlernkompetenz kommt auch schon dann zum Tragen, wenn ich in einer Office-Anwendung Word, Excel, ein kleines Problem habe und dann im Internet nach einer Lösung suche. Da habe ich auch einen Minilernprozess. Und das heißt nicht, dass ich gleich einen ganzen Kurs zu diesem Programm besuchen möchte, mehrwöchig oder wie auch immer, sondern ich möchte einfach nur einen kleinen Baustein lernen, weil ich gerade nicht weiß, wie ich da was einstelle. Also ich glaube, das Problem kennt jeder, wirklich sehr klein und dann muss ich mich aber ja auch selbst regulieren. Ich muss selbst die Lösung finden, ich muss selbst gucken, passt das, passt das nicht? Ich muss nochmal zu der anderen Seite gucken. Also das können ja auch so richtig kleine Lerneinheiten sein und für wen das jetzt geeignet ist? Ich glaube, prinzipiell ist das für alle Lerner geeignet, aber je weniger Vorwissen ich habe, wenn ich mich nie mit Sprachen beschäftigt habe, wenn ich keine Fremdsprache kann und auch überhaupt noch, also wenn ich null Fremdsprachen kann, dann ist es vielleicht ratsamer, nicht allein loszulegen, weil es könnte doch sehr viel länger dauern. Wenn ich allerdings schon fünf Sprachen, zehn Sprachen kann, dann fühle ich mich vielleicht auch eher in der Lage, auch aufgrund meiner Selbstwirksamkeitseinschätzung, dass ich die elfte Sprache mir vielleicht doch auch selber aneignen kann. Also Vorwissen ist ein ganz wichtiger Baustein. Wenn ich schon Experte bin, fliegt mir neues Wissen sehr viel einfacher zu, als wenn ich null Vorwissen habe und gar keine Ahnung. Ich glaube, das macht das Empfinden, ob es leicht ist oder eher schwierig und wie schnell ich auch vorankomme.
Flemming:
Ja, genau. Ich denke, das fasst das wirklich so gut zusammen. Also wenn du sagst, man hat schon fünf Sprachen gelernt, okay, dann kriegt man es wahrscheinlich hin. Selbst wenn man die alle mit einem Lehrer gelernt hat, dann weiß man trotzdem, was der nächste Lehrer wahrscheinlich machen wird. Also wenn man so weit ist, denke ich auch, dann hat man es schon verstanden und ich denke, dann ist man auch relativ gut selbst organisiert, weil der Lehrer begleitet dich ja jetzt auch nicht jeden Tag zwölf Stunden. Das heißt, du hast ja bis dahin schon eine gewisse Selbstlernkompetenz einfach auch entwickelt.
Myriam:
Aber eben dann fürs Sprachenlernen und nicht für andere Bereiche. Das ist nicht immer so übertragbar. Natürlich gibt es auch allgemeine Kompetenzen, die sich gut übertragen lassen, aber es gibt eben auch immer fachspezifische Sachen, die es dann manchmal holprig machen oder nicht.
Flemming:
Genau, aber allgemeine Kompetenzen, ja, wenn wir da schon sind, dann würde ich auch sagen, so Zeiteinteilung, Organisation, ich glaube, das kann man auf jeden Bereich schon irgendwie anwenden, oder?
Myriam:
Also das ist eine wichtige Voraussetzung, dass ich mir irgendwie meine Zeit einteilen kann, dass ich weiß, wann ich irgendwie regelmäßig Zeit habe, umzulernen, aber eben auch, dass ich mir gut Ziele setzen kann und realistische Ziele. Also nicht nur irgendwie, „Ich müsste dann mal noch Englisch lernen nächste Woche“, sondern dass ich da wirklich sehr konkret werde. Was möchte ich denn da machen? Also so wie Lehrer auch Unterricht vorbereiten im Prinzip, so muss ich das jetzt für mich dann auch aufbereiten. Welche Übung will ich dann machen? Was wäre denn mein Ziel? Was ist ein gutes Ziel? Würde es mich total überfordern, wenn ich sage, ich fange jetzt an, ein Buch in dieser Fremdsprache zu lesen, irgendeinen Roman, oder bleibe ich lieber erst mal beim kurzen Lehrbuchtext, wo unten auch noch ein paar Vokabeln erklärt sind und versuche erst mal den zu verstehen, weil ich eben weiß, dass der auf mein Sprachniveau angepasst ist. Also wie hoch setze ich mir da meine Ziele? Und manche Leute sind dann so motiviert, dass sie die Ziele vielleicht auch ein bisschen groß setzen und nicht gern klein klein anfangen wollen.
Flemming:
Ja, okay, leuchtet ein. Ich bin aber auch noch über einen anderen Begriff gestolpert, mal weg vom Thema Zeiteinteilung und Organisation. Und zwar auf deiner Website schreibst du auch von Cognitive Load. Was bedeutet das? Sag mal dazu ein paar Worte.
Myriam:
Das ist eigentlich eine eigene Podcast-Folge in diesem Sinne. Weil ich weiß nicht, ob alle Zuhörer hier wissen, was das Arbeitsgedächtnis ist. Über das müsste man halt sprechen. Viele Leute wissen, was ein Kurzzeitgedächtnis ist, vielleicht noch. Kurzzeitgedächtnis, Langzeitgedächtnis. Und dieses Kurzzeitgedächtnis hat sich in der psychologischen Forschung jetzt weiterentwickelt zum Arbeitsgedächtnis, weil es eben da um die Denkprozesse geht. Wir können uns das so ein bisschen vorstellen wie so einen inneren Schreibtisch. Also ich habe das Langzeitgedächtnis, das ist so das Regal nebenan, wo die ganzen Ordner, wo alles abgelegt ist. Und ich habe eben meinen Schreibtisch, wo ich dann entsprechend meine Sachen mir auf den Tisch lege und da wird bearbeitet. Da wird Texte geschrieben, formuliert, da wird gerechnet und so weiter. Aber so ein Schreibtisch ist eben endlich und ich kann nicht 200 Sachen auf einmal machen. Multitasking ist praktisch für viele Leute bei anstrengenden Aufgaben nicht möglich. Das heißt, mein Schreibtisch kann zu voll sein und ich finde nichts mehr. Und ich bin dann eben überlastet in meinem Arbeitsgedächtnis und wann immer das passiert, findet kein Lernen statt. Das heißt, es kann passieren, dass ich mit den ganzen Orga-Aufgaben und schwierigem Lernstoff mich überlaste, weil ich das alles nicht gewohnt bin. Ich habe Selbstlernkompetenz vielleicht nicht gelernt in der Schule, in meinem Werdegang als Lerner und dann bin ich damit schon sehr beschäftigt. Das frisst schon eine Menge Kapazität und dann muss ich mich auch noch mit sehr schweren Inhalten beschäftigen. Und das kann dazu führen, dass man sehr überlastet ist, gerade wenn man was Neues lernt. Da kann ja ein schwieriges Fachwort einen schon eine Viertel- bis halbe Stunde mal beschäftigen, wenn man das nicht kann und sich vorsagen muss oder was auch immer. Und ja, also das ist natürlich, ich sage mal, ein kleines Risiko für Selbstlernkompetenz. Aber es heißt eben auch Kompetenz, weil ich das Ganze erlernen kann. Also ich müsste halt anfangen, mir diese Kompetenzen aufzubauen, bevor ich anfange, was wirklich Schwieriges zu machen oder eben überlegen, ich mache das doch mit einem Lehrer. Und selbst wenn ich mit einem Lehrer arbeite, gibt es ja immer noch genug Phasen, wo ich auch selbstständig etwas tue und lerne und mache.
Flemming:
Okay, aber zählen da auch Themen rein, die mich jetzt im Alltag belasten oder bezieht sich das jetzt nur auf den Lernstoff? Beispielsweise, wenn ich jetzt, wie du sagst, mein Arbeitsspeicher, mein Schreibtisch ist überlastet, weil ich so viele verschiedene Fachwörter gelesen habe, weil der Lernstoff zu schwer ist oder sowas?
Myriam:
Was alles auf dem Schreibtisch ist, kann sehr unterschiedlich sein. Also auch wenn ich schon Angst habe, eine Prüfung zu schreiben, dann wird schon diese Prüfungsangst mir Kapazität abziehen von meinem Arbeitsgedächtnis etwas, weil ich schon an die Prüfung denke und dann kann ich nicht mehr so gut da arbeiten und habe nicht so viel freie Kapazität. Wie viel Kapazität ich habe, hängt auch wieder davon ab, wie viel Vorwissen ich schon habe zu einem Thema. Aber sehr aktuell in Zeitschriften und so weiter, in Büchern wird jetzt auch von Mental Load gesprochen. Das geht auch ein bisschen in diese Richtung. Das heißt, wenn ich aber auch noch die ganze Zeit denke, ich muss noch 100 andere Sachen, einen Umzug organisieren, ich muss noch einkaufen gehen und ich habe noch 20.000 andere Dinge auf meiner To-Do-Liste und ich kann mich gar nicht aufs Lernen an sich konzentrieren, dann wird das natürlich Kapazität abziehen und alle Kapazitäten, die ich nicht fürs Lernen habe, die sind einfach nicht da.
Flemming:
Was machen wir da am besten, wenn wir diesen Cognitive Load spüren?
Myriam:
Schwierig. Also natürlich würde ich sagen, erst mal versuchen, sich wirklich auf die eine Sache zu konzentrieren, die anderen Sachen, die einem so im Kopf rumschwimmen, vielleicht mal aufschreiben, auch später vertagen, wenn das dann geht. Und sich ansonsten…Es wird natürlich besser, je mehr Vorwissen ich habe und ansonsten kleinere Lernportionen. Also dann habe ich mich vielleicht wirklich überfordert, dann war der Text zu schwierig, den ich gerade versuche zu übersetzen, dann sind es vielleicht zu viele Vokabeln, die ich versuche mir heute zu merken und vielleicht muss ich dann kleinere Brötchen backen und sagen, also wenn ich die zwei oder drei morgen noch weiß, wenn ich früh aufstehe, die Vokabeln, dann freue ich mich schon. Dann wäre das schon mal ein Erfolg. Also nicht zu denken, man müsste gleich sehr, sehr groß immer starten.
Flemming:
Genau, sehr gut. Wir hatten in einer anderen Folge vor ein paar Wochen auch noch mal das Thema Pausen machen beim Lernen. Auch eine Expertin hier, die dann auch gesagt hat, „Ja, es ist einfach enorm wichtig, wenn du dir die Pausen nicht gönnst“. Also auf der einen Seite sagt man gerade im Sprachenlernen ist es so wichtig, ja auch, wenn man schnell vorankommen will, jeden Tag im Prinzip in Kontakt mit der Sprache zu kommen, was aber auch nicht bedeuten muss, dass man jeden Tag die schwersten, kompliziertesten Übungen macht und sonst wie weit aus der Komfortzone herausgeht. Der kleine Kontakt reicht manchmal auch einfach aus, mal einen Podcast entspannt hören oder so. Genau, aber einfach diese Pausen einzuhalten oder sich auch mal zu sagen, es ist heute okay, ich spüre gerade, wie mir alles über den Kopf wächst, also kann ich auch mal mich hinlegen und gar nichts machen, oder?
Myriam:
Also Lernkurve heißt nicht, dass das wirklich immer steil nach oben gehen muss, sondern das können Schlängellinien sein, hoch und runter. Und manchmal mache ich und lerne und denke, es geht überhaupt nicht voran und dann mache ich mal zwei, drei Tage nichts und danach weiß ich plötzlich was, obwohl ich nichts gemacht habe. Manche Lerner interpretieren das falsch und denken, sie müssen gar nichts machen und es läuft, so geht es natürlich auch nicht. Also ich muss vorher ein bisschen Arbeit irgendwie investieren, aber das heißt nicht, dass ich dann sofort immer die große Ernte gleich einfahren kann. Also es kann schon sein, dass das ein bisschen dauert und Lernen dauert. Da hilft auch, also auch Technik hilft da nichts. Oft wird ja gesagt, „Damit lernen Sie schneller“. Das Gehirn lernt aber nicht unbedingt schneller. Also man braucht halt einfach seine Zeit. Lernen dauert und da kann man Stundenpläne straffen und und noch mehr und noch mehr, aber es wird nichts helfen.
Flemming:
Ja genau, es ist ein Prozess.
Myriam:
Es ist ein Prozess und das geht hoch und runter und Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht.
Flemming:
Sehr schön, sehr schöner Spruch, gefällt mir. Ja, sehr gut Myriam, dann haben wir es glaube ich erstmal. Also ja, was die Leute hier heute mitnehmen können, ist einfach auch, dass jeder selbstkritisch natürlich auch mal gucken sollte, wo er oder sie steht, an welchem Punkt. Ich meine, alle, die diesen Podcast hören, haben sowieso schon eine ordentliche Leistung vollbracht, weil sie das, was wir hier in normalem Sprechtempo sagen, auch gut verstehen können. Das heißt, Leute, ihr seid schon sehr, sehr weit. Das ist schon eine super Leistung, aber ja, auch zu gucken, könnt ihr euch gut organisieren? Habt ihr wirklich eine klare Vorstellung von euren Zielen, von eurer Motivation? Könnt ihr die Zeit gut einteilen? Seid ihr mental nicht überlastet, so dass ihr auch immer die Energie habt, neuen Stoff aufzunehmen, Output zu kreieren und so weiter? All die Dinge, auf die es eben ankommt beim effektiven Sprachenlernen. Aber ja, dann auch selbstkritisch zu sein und zu sagen, okay, ich merke, ich bin an einem Punkt und ich komme hier nicht weiter. Also suche ich mir dann gerne auch jemanden, der mich dabei unterstützt. Das sollte jetzt keine Werbung in eigener Sache sein. Es gibt genug Leute, die das anbieten. Es gibt genug Leute, die euch da unterstützen können. Das bin nicht nur ich, das sind auch ganz andere. Genau, also das Thema könnt ihr auf jeden Fall mal für euch hinterfragen.
Myriam:
Ich würde gerne noch einen Punkt anfügen. Also ansonsten ist vielleicht auch noch hilfreich, sowas wie ein Logbuch, ein Lerntagebuch zu führen, wo ich einfach mal mir die Zeit auch nehme, zu überlegen, wie weit bin ich gekommen? Weil dann kann ich auch irgendwann mal zurückschauen und sehe meinen Weg. Natürlich ist das zusätzliche Arbeit. Das macht nicht jeder gern und sagt, naja, dafür habe ich jetzt keine Zeit, mich da noch hinzusetzen. Es können ein paar Zeilen sein oder ein paar Notizen, Dinge, die man noch nicht verstanden hat, was auch immer. Dazu können wir auch wieder eine ganze Podcast-Folge machen zum Lerntagebuch. Aber das hilft, dieses Reflektieren, was kann ich schon, was kann ich noch nicht? Das führt bis hin zu Richtung Dankbarkeit, was ja auch oft schon diskutiert wird. Dass man einfach mal sagt, okay, das habe ich heute verstanden und darauf bin ich auch stolz und morgen mache ich da auch fröhlich weiter irgendwie. Oder eben die Frage ist noch offen und da brauche ich Hilfe, aber vielleicht habe ich sonst am nächsten Tag die Frage auch schon wieder vergessen und bleibe irgendwann am selben Punkt wieder hängen. Also so ein bisschen wie ein Logbuch der Raumschiff Enterprise, also ein bisschen auch mit wissenschaftlichem Forschergeist rangehen und einfach mal gucken, wo bin ich im Prozess? Ist gerade ein Tal? Geht es wieder hoch?
Flemming:
Ja, sehr guter Tipp auf jeden Fall. Habe ich selbst so noch nicht ausprobiert, aber ich habe von der Methode auch schon gehört, dass das viele Leute auch machen. Einfach wirklich selbst sich zu reflektieren und zu sagen, ich kann jetzt schon einigermaßen flüssig sprechen oder mein Hörverstehen ist seit einem halben Jahr nicht besser geworden oder wie auch immer. Also wirklich selbstkritisch drauf gucken, das sorgt ja auch für Erkenntnisse, aus denen dann eben wieder neue Strategien erwachsen können. Also wo man dann auch merkt, ich muss hier dran arbeiten, also kümmere ich mich mal, recherchiere mal, wie auch immer oder mache einfach Übungen, die in diesen Bereich passen und entwickle mich so weiter. Das ist ein sehr guter, sehr guter Hinweis. Aber ich glaube, weil du gesagt hast, das wäre noch mal eine eigene Podcast-Folge wert, ich glaube, wir haben sowieso, also sowieso noch ganz viel Stoff, den wir miteinander hier bequatschen könnten. Deswegen würde ich mich auf jeden Fall freuen, Myriam, wenn du irgendwann mal wieder hier in den Podcast kommst und mit mir plapperst.
Myriam:
Sehr gern!
Flemming:
Ja, sehr schön, das freut mich. Da werden wir uns auf jeden Fall mal, oder da werden wir auf jeden Fall in Kontakt bleiben. Ansonsten danke ich dir vielmals für diese interessante Folge, für all deinen Rat, deine Expertise. Und genau, wenn die Leute dich erreichen wollen, über deine Website, über Instagram, ich verlinke das natürlich in den Show-Notes.
Myriam:
Dankeschön! Vielen Dank für die Einladung, war sehr schön.
Flemming:
Sehr, sehr gerne, danke auch. Also Leute, wenn ihr auf Myriam zugehen wollt, noch Fragen zu ihr habt, beziehungsweise auch mit ihr eure Selbstlernkompetenz und all das drumherum verbessern möchtet, genau, schreibt sie da gerne an. Und wenn ihr Fragen zur Folge habt, zu diesem Thema konkret, auch dann schreibt gerne Kommentare bei YouTube, da können wir dann gerne ein bisschen diskutieren. Bewertet den Podcast, lasst 5 Sterne da, gebt mir und Deutsches Geplapper ein Like, wie immer, ihr kennt das. Und ansonsten habt eine schöne Woche, bleibt gesund, genießt den Herbst und wir sehen und werden uns nächste Woche wieder hier bei Deutsches Geplapper. Macht’s gut, ciao, ciao.
Myriam:
Tschüss.
Willst du gleich weiterhören? Hier ein paar Vorschläge:
- Peinliche Erlebnisse mit Fremdsprachen – mit David von Linguathor
- Der Test-Effekt: Das ideale Hirntraining – mit Dr. Myriam Schlag
- Wie wichtig sind Pausen beim Deutschlernen? – mit Dr. Martin Krengel
Hier bekommst du das Material für die Translation³-Methode:
https://www.patreon.com/natural_fluent_german?fan_landing=true&view_as=public
Myriam findest du hier:
https://myriamschlag.de/
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